Pünktlich zur Olympia-Zeit, zum Beginn der olympischen Spiele freue ich mich, wieder einen Gastbeitrag von Tim Scheffczyk präsentieren zu können. Dabei geht es um eine alternative Methode, die Rangliste der Nationen anhand des Medaillenspiegels zu berechnen, wobei Silber- und Bronzemedaillen stärker berücksichtigt werden als bisher üblich.
Die olympischen Spiele sind der allergrößte internationale sportliche Wettstreit. Vom 26. Juli bis zum 11. August 2024 finden in Paris die Spiele der XXXIII. Olympiade statt. Der Gewinn einer olympischen Goldmedaille ist für einen Sportler/eine Sportlerin und die Nation das größte sportliche Ziel. Doch zählt wirklich nur die Goldmedaille? Eine Frage, welche dieser Artikel beantworten möchte.
Es ist nicht nur das Gold, was glänzt
Der Erfolg der einzelnen Nationen ist wichtig für die zukünftige Sportförderung in den einzelnen Ländern und wird zumeist anhand des sogenannten Medaillenspiegels gemessen. Medaillen werden an die Sportler bzw. Nationen der ersten drei Plätze vergeben. Die Goldmedaille für den Ersten, die Silbermedaille für den Zweiten und die Bronzemedaille für den Drittplatzierten. Im Medaillenspiegel werden die Nationen nun absteigend zuerst nach der Anzahl der Goldmedaillen sortiert. Das nächstfolgende Sortierkriterium ist die Anzahl der Silbermedaillen. Zuletzt folgt die Anzahl an Bronzemedaillen. Hierbei handelt es sich um eine lexikographische Ordnung. Eine Goldmedaille ist für den olympischen Medaillenspiegel somit unendlich bedeutender als eine Silber- oder Bronzemedaille. Eine Nation ohne Goldmedaille kann eine Nation mit einer Goldmedaille nicht durch auch noch so viele Silber- oder Bronzemedaillen im Medaillenspiegel ein- bzw. überholen. Eine Goldmedaille ist somit nicht substituierbar. Zwar sind die Anzahl an Silber- und Bronzemedaillen nicht gänzlich wertlos, jedoch kommen diese nur zum Tragen, sofern die Anzahl an Goldmedaillen zwischen den Nationen identisch ist. Die Bedeutung der Silber- und Bronzemedaillen ist daher für den olympischen Medaillenspiegel sehr gering. Dies widerspiegelt jedoch mitnichten die Bedeutung, welche diese Medaillen für die Sportler und Nationen haben. Für Sportler und deren Nationen haben Silber- und Bronzemedaillen eine sehr hohe Bedeutung. Denn diese symbolisieren das Erreichen der Top 3 bei mitunter sehr vielen Konkurrenten und dies stellt per se schon einmal eine sehr gute Leistung dar. Auch gehen Silber – und Bronzemedaillisten finanziell mittels Prämien nicht komplett mit leeren Händen aus dem Wettbewerb.
Olympia: Silber- und Bronzemedaillen stärker im Medaillenspiegel berücksichtigen
Dieser Tatsache sollte auch in der Berechnung des Medaillenspiegels Rechnung getragen werden. Hierzu werden die Medaillenresultate aller Nationen miteinander bilateral verglichen. Bei diesem bilateralen Vergleich werden die Anzahl an Gold-, Silber-, und Bronzemedaillen, sowie vor allem auch die Anzahl an Ergebnissen ausserhalb der Top, d.h. ohne Medaillen, miteinbezogen. Dies soll anhand der Olympischen Spiele 2020 von Tokio (durchgeführt in 2021) exemplarisch aufgezeigt werden. Anhand des bilateralen Vergleich werden diese 4 Kennzahlen miteinander verknüpft und in eine Wahrscheinlichkeit transformiert. Diese Wahrscheinlichkeit sagt aus, wie wahrscheinlich es ist, dass Nation A in einem (aus gesamthaft 339) zufällig ausgewählten Wettbewerb, ein besseres Ergebnis erzielt hat als Nation B in einem erneut zufällig ausgewählten Wettbewerb. Es handelt sich hierbei daher bei den beiden zufällig ausgewählten Wettbewerben nicht (zwangsläufig) um die gleichen Wettbewerbe. Vielmehr ist die Auswahl stochastisch voneinander unabhängig und bei 339 Wettbewerben ist es recht unwahrscheinlich, dass für Nation A und Nation B der gleiche Wettbewerb gewählt wird.
Schaut man sich den Medaillenspiegel der Olympischen Spiele 2020 in Tokio an, so fällt auf, dass selbst die beste Nation der USA mit 113 Medaillen statistisch nur in jedem dritten Wettbewerb eine Medaille gewinnt. In der überwiegenden Mehrheit wurde kein Medaillenrang erzielt. Ist dies der Fall, so beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass Nation A gegenüber Nation B eine bessere Platzierung aufweist 50 %. Dadurch, dass dies auch für die USA als Topnation in 2 von 3 Fällen zutraf, ist diese Wahrscheinlichkeit – im Folgenden Score genannt- niemals deutlich über oder unter 50 %. Dieser Score beträgt für die USA im Mittel 66.0 %. Aber selbst für eine Nation ohne jegliche Medaille entspricht der Score noch 49.23 %. Das hört sich in einem ersten Moment sehr merkwürdig ist, es lässt sich aber mathematisch erläutern. In rund einem Drittel aller Wettbewerbe erzielt die USA definitiv ein besseres Ergebnis als eine medaillenlose Nation. Das heißt aber im Umkehrschluss, dass zu zwei Dritteln, wenn auch die USA kein Medaillenergebnis erzielt kein eindeutig besseres Resultat der Topnation gegenüber einer medaillenlosen Nation vorliegt. Trifft man nun die Annahme der Indifferenz, bedeutet dies nichts anderes als dass einer medaillenlosen Nation gegenüber der Topnation USA in zwei von drei Fällen ein Score in Höhe von 50 % zugewiesen wird. Die Scores der Nationen schwanken nicht so stark, da der Anteil an Wettbewerben ohne Medaille für jede Nation recht hoch ist. Bei der zehntplatzierten Nation Italien beträgt dieser Anteil 88.2 %, bei der Nation Norwegen auf Platz 20 schon 97.6 %. (Tabelle 1)
Olympia 2020: Korrigierter Medaillenspiegel mit stärkerer Berücksichtigung von Silber und Bronze
Sortiert man nun die Nationen nach dem oben beschriebenen Score anstatt der lexikographischen Ordnung mit dem Hauptkriterium der Anzahl an Goldmedaillen, so ergibt sich eine neue Rangordnung. Die neue Rangordnung nach dem Scoring korreliert stark mit der alten Rangordnung. Der Korrelationskoeffizient beträgt +0.90, dies entspricht einem Bestimmtheitsmaß (R²) in Höhe von 81.3 %. Dennoch gibt es Nationen für die der Rangwert stark divergiert. Es ist auffallend, dass der Score bei Nationen mit vielen Medaillen unabhängig von deren Art (viele Bronzemedaillen sind hier äquivalent zu vielen Gold- oder Silbermedaillen) sehr hoch ist. Die Ukraine ist hierfür ein gutes Beispiel. Sie weist zwar nur eine Goldmedaille und landet daher in der Nationenwertung nur auf Rang 44. Die 6 Silber- und vor allem die 12 Bronzemedaillen führen zu einer Aufwertung um 28 Ränge auf Platz 16.
Kalkuliert man die Rangkorrelation zwischen der Nationenordnung nach der gesamten Medaillenanzahl und nach dem Scoring, so ergibt dies mehr als +0.9999 und ist damit ein nahezu perfekt linearer Zusammenhang. Dennoch ist an dieser Stelle wichtig festzuhalten, dass die Korrelation bzw. das Bestimmtheitsmaß eben nicht exakt 1 entspricht und es somit keinen perfekten Zusammenhang darstellt. Dies ist dafür wichtig, dass der Score bei einer gleichhohen Anzahl an gesamten Medaillen noch zwischen der Medaillenart unterscheidet (vgl. Grafik: Plot der gesamthaften Medaillenanzahl (x) und des Olympia-Scores (y)).
Während eine medaillenlose Nation auf einen Score in Höhe von 49.23 % kommt, führt eine Goldmedaille zu einem Anstieg in Höhe von 0.1498 %, eine Silbermedaille zu einer Steigerung in Höhe von 0.1483 % und eine Bronzemedaille zu einer positiven Veränderung von 0.1468 % (Tabelle 3). Dies zeigt sich bei Nationen mit der gleichen Medaillenanzahl meist erst an einer der Nachkommastelle. Vergleicht man Ungarn (HUN) und Südkorea (KOR) haben diese beide insgesamt 20 Medaillen, sogar mit 6 an der Zahl gleichviele Goldene. Ungarn erzielte aber 7 Silberne und 7 Bronzene, während Südkorea nur 4 Silber- hierfür aber 10 Bronzemedaillen sein Eigen nennen darf. Da Silbermedaillen den Bronzemedaillen vorzuziehen sind, ist das lexikographische Rang Ungarns besser. Auch der Score ist minimal besser: Während Südkorea auf einen Score von 52.19018 % kommt, entspricht dieser bei Ungarn 52.19485 % und ist damit lediglich +0.0047 %-Punkte besser (Tabelle 2).
Entscheidend ist aber festzuhalten, dass der Olympiascore zwar nahezu perfekt mit der Medaillenanzahl korreliert, aber dennoch eine Nation mit höherwertigen Medaillen besser einstuft. Eine fehlende Goldmedaille kann zumindest theoretisch durch genügend viele Silbermedaillen (über-)kompensiert werden. Den Topwert der USA in Höhe von 66.0 % bei 39 Gold-, 41 Silber- und 33 Bronzemedaillen, hätte eine Nation ohne Gold- oder Silbermedaille mit 148 Bronzemedaillen überbieten können. Der Olympiascore ist gegenüber der bis dato vorherrschenden lexikographischen Ordnung eine pareto-optimale Kennzahl für die Ermittlung des Rangwertes einer Nation in einem Medaillenspiegel.